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Deutsche Biotechnologie: Zukunftsbranche ohne Umsetzungskraft
Ein Bericht der Bertelsmann-Stiftung und der ESMT Berlin sieht in Deutschlands Biotechnologie-Standorten hohes Innovationspotential, jedoch weiterhin Nachholbedarf beim Technologietransfer und bei der Zusammenarbeit.
Das Institute for Deep Tech Innovation (DEEP) der ESMT (European School of Management and Technology) hat seinen Bericht „Assessing Deep-Tech Innovation Hubs in Germany: The Case of Biotechnology“ kürzlich zusammen mit der Bertelsmann-Stiftung herausgegeben. Darin bewertet das Institut die Innovationsleistung Deutschlands im Bereich Biotechnologie anhand eines umfassenden Index und beleuchtet die Stärken und Schwächen einzelner Standorte.
Dabei wurden anhand qualitativer Analysen – in Form von Experteneinschätzungen – sowie eines quantitativen Biotech-Index die einzelnen Bereiche Grundlagenforschung, Forschung und Entwicklung, Unternehmensgründungen, öffentliche Infrastruktur sowie das Geschäftsumfeld betrachtet.
Deutschlands stärkste Biotechnologie-Zentren
Berlin, München und Heidelberg seien die innovationsstärksten Standorte. Dies ergab der Biotech-Index, mit dem das Institut die Innovationsstärke ermittelt. Er beruht etwa auf Forschungsleistung, Patentanmeldungen und Finanzierungen über einen Zeitraum von acht Jahren – wodurch Vergleiche ermöglicht werden und sich Trends abzeichnen. „Der von uns entwickelte Index bewertet erstmals deutsche Biotechnologie-Zentren entlang der gesamten Wertschöpfungskette“, so Prof. Francis de Véricourt, Akademischer Direktor des DEEP-Instituts. Seine Analysen möchte das Institut auf andere Wirtschaftsbereiche und weitere europäische Zentren ausweiten.
Berlin führt in der Studie die fünf betrachteten deutschen Standorte dank einer guten öffentlichen Infrastruktur und viel klinischer Forschung an. Es folgt München, das vor allem bei der Förderung von Start-ups und der Finanzierung in späteren Phasen der Medikamentenentwicklung punktet. An dritter Stelle kommt dank einer starken Grundlagenforschung die Region Heidelberg.
Diese drei Zentren liegen nahezu gleichauf, gefolgt von Stuttgart mit einer diversifizierten Wirtschaftsstruktur und der Region Nürnberg-Erlangen mit einer Spezialisierung auf den Bereich Medizintechnik. Auffällig ist allerdings, dass die meisten Standorte laut Biotech-Index der ESMT an Innovationsstärke eingebüßt haben. Nachdem die Branche während der COVID-19-Pandemie einen Innovationsschub erlebte, konnten bis auf München alle Standorte das Momentum nicht beibehalten und verschlechterten sich im Vergleich zu 2016.
Kollaborationen zwischen den einzelnen Zentren gezielt zu fördern, wäre laut de Véricourt eine Möglichkeit, die teils komplementären Stärken für den Aufbau eines zusammenhängenden Ökosystems zu nutzen und dies gegebenenfalls sogar auf weitere Standorte in Europa auszudehnen. Daneben spricht er sich für die Exzellenzförderung von wenigen vielversprechenden Standorten aus.
Ungenutztes Potential
Die Voraussetzungen für Innovationen im Bereich Biotechnologie sind in Deutschland zahlreich vorhanden. Hierzu zählen eine sehr gute Grundlagenforschung in Zukunftsfeldern der Biotechnologie, eine starke industrielle Basis sowie ein internationales Publikum in den MINT-Studienfächern. Darüber hinaus erfreut sich die deutsche Biotech-Branche einer verbesserten Finanzierungslandschaft und wachsenden Start-up-Szene. Ihre Forschungsstärke nutzen die deutschen Biotech-Standorte allerdings nicht ausreichend aus. „Die heimischen Innovationspotentiale sind sozusagen ‚lost in translation‘“, sagte Daniel Posch, Innovationsexperte der Bertelsmann-Stiftung.
Bereits eine vergangene Studie des DEEP-Instituts hatte die Translation an den drei führenden deutschen Standorten mit Paris, London und Boston verglichen und gezeigt, dass Zentren in Deutschland gegenüber europäischen und vor allem US-amerikanischen Pendants schlechter abschneiden.
Generell sei der Technologietransfer im Bereich Deep-Tech wegen dessen besonderer technologischen und wirtschaftlichen Risiken im Vergleich zu anderen Branchen deutlich schwieriger. Auch eine Fragmentierung der deutschen Biotechnologie-Branche in teils isolierte Zentren trägt dazu bei. Möchte man mit Innovationshochburgen in den USA, Singapur und China oder mit europäischen Zentren wie London oder Basel mithalten, sei eine stärkere Vernetzung und Clusterbildung dringend nötig, um die Synergien besser zu nutzen. Forschungseinrichtungen, Unternehmen und Politik sollten eine offene Innovationskultur fördern, die Austausch und Kooperation begünstigt und den Übergang von der Forschung zur Vermarktung unterstützt. Bestehende Innovation Labs, Wettbewerbe und Preise für Innovationen an den deutschen Zentren sind nur einige mögliche Ansätze.